In Kürze

Das kleine Architektonien grenzt unmittelbar ans bekannte Analytistan mit seiner prächtigen Hauptstadt Anforderungshausen. Zwischen beiden Lagern herrscht … ja, wie soll man es nur ausdrücken … eine Art gespannter Zustand: Während in Anforderungshausen essenzielle Wünsche in den Köpfen der Bewohner wabern, müssen die Architektonier die wirkliche Implementierung begleiten. Sie stehen unter dem Einfluss herrschsüchtiger Managier und penibler Qualitessen und müssen gleichzeitig die kritischen Stimmen der zahlreichen Prograländer aushalten. Sich in diesem Spannungsfeld langfristig zu behaupten, erfordert sowohl Vielseitigkeit als auch Kunstfertigkeit. In den langen Jahren ihrer kargen Existenz haben die Architektonier dafür ihr architektonisches Manifest geschaffen, aus dem ich Ihnen einige Auszüge vorstellen möchte. Folgen Sie mir vorab auf eine kurze Reise durch die IT-Welt, auf der ich Ihnen die wesentlichen Stationen vorstellen möchte.

Kundenien

Wie Sie sicher wissen, gehört die IT-Welt ganz und gar den Kundeniern – einer größtenteils unerforschten, unberechenbaren und ziemlich vielseitigen Gattung homo dubiosis mit einem Einschlag von homo semisapiens. Aus unerfindlichen Gründen beschränken die Kundenier den direkten Kontakt mit der schönen IT-Welt auf drei Länder, nämlich Analytistan, Betriebien und Kostenia. Und werden einmal Bewohner der übrigen IT-Länder nach Kostenia eingeladen (oder entführt!), geschieht das entweder, um sie dort ins Gefängnis zu werfen oder ihnen eine andere Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Analytistan

Dies ist die Heimat der liebenswürdigen und stets freundlichen Analytistaner, auch genannt Requies (gesprochen: Rekkies). Diese Spezies spricht die gleiche Sprache wie die bereits erwähnten Kundenier. Requies verfügen über kommunikative und hypnotische Fähigkeiten, mit denen sie sogar unbewusste Wünsche der Kundenier erkennen können. Analytistaner fürchten sich vor nichts mehr als vor Entscheidungen – niemals würden sie eigenständig eine Auswahl zwischen möglichen Alternativen treffen. Stets befragen sie in solchen Fällen die ihnen wohlgesonnenen Kundeniern (die allerdings, seien wir ehrlich, häufig die Antwort schuldig bleiben). Requies gehen zu Beginn von IT-Projekten häufig bei den betroffenen Kundeniern ein und aus. Dies führt jedoch auf beiden Seiten zu gewissen Abnutzungserscheinungen, sodass die intensive Kommunikation oftmals bereits nach kurzer Zeit wieder eingestellt wird. Requies lieben das geschriebene Wort über alles und pflegen das Landesmotto „Papier ist geduldig“. Wo ihre Nachbarn aus Architektonien oder die technophilen Programmisten zu präzisen Werkzeugen wie Java oder Ruby greifen, bleiben Requies grundsätzlich bei redun- danzbehafteter, ungenauer, aber dafür ästhetischer, natürlicher Sprache. Bemerkenswert an den Requies ist auch ihre fast schon legendäre Unbeliebtheit: Außer bei Kundeniern dürfen sie sich praktisch nirgendwo auf dem IT-Globus blicken lassen – obwohl viele von ihnen ziemlich nett sind, ehrlich!

Architektonien

Architektonier lieben die Dunkelheit – zumindest müssen sie dort arbeiten. Und falls es bei der Arbeit doch mal hell wird, herrscht garantiert dichter Nebel. Mit 99%iger Wahrschein- lichkeit hat ein Architektonier bei der Arbeit keine klare Sicht, weder auf die zu lösenden Aufgaben noch auf die vorhandene Technologie. Macht aber nichts – Architektonier haben im Lauf ihrer fast 25-jährigen Evolution großen Mut entwickelt. Und den brauchen sie auch, nämlich um ihrer wichtigsten Aufgabe nach- zukommen: Entscheidungen zu treffen. Architektonier arbeiten meist in kleinen Teams und besitzen neben fundierten technischen Skills eine gehörige Portion Sendungsbewusstsein und Kommunikationstalent. Prograland (siehe unten) ist zumindest ihre zweite Heimat - oftmals sogar ihr Lieblingsplatz.

Zwischen Analytistan und Architektonien verläuft eine Grenze, die der ehemaligen innerdeut- schen Grenze ähnlich ist: Architektonier können sie dank ihres legendären Mutes problemlos in beide Richtungen passieren, für Requies bleibt sie jedoch in beide Richtungen versperrt.

Prograland

Die Heimat von Geeks, Nerds und weiteren technophilen Vielseitern. Alle Neugeborenen werden in Prograland traditionsgemäß in lauwarme Bytesuppe gelegt. Das prägt, gründlich und dauerhaft. Prograland straft sämtliche biologischen Thesen Lügen: Trotz 98,8 % mas- kuliner Bevölkerung nimmt die Einwohnerzahl von Prograland ständig zu. Irgendwie muss eine Art Raum-Zeit-Kanal frische Geeks in dieses vielseitige, farbenfrohe und wortkarge Land einschleusen. Aber das soll hier keine Rolle spielen. Prograland besteht aus einer Vielzahl von Provinzen, zwischen denen teilweise offene Kon- flikte herrschen. So befeinden sich seit Jahren die Hochebenen von *ix mit den Niederungen von MS*, oder C* neidet J* seine Erfolge.

Insgesamt sind die Prograländer ziemlich verspielt und bleiben gerne unter sich. Requies sind nicht geduldet, Geld und Zeit spielen keine Rolle (es sei denn, es handelt sich um Millisekunden – die zählen. Personentage aber nicht). Obwohl ich erklärter Sympathisant von Prograländern bin – sie sind (und bleiben) die Urheber vieler dramatischer IT-Probleme. Wer sonst schreibt #define private public in die zentrale Header-Datei und umgeht damit das Geheimnisprinzip? Wer sonst produziert Stack-Overflows, Memory-Leaks und Buffer-Overflows (die dann andere Geeks wiederum für gute oder böse Zwecke ausnutzen können)? Aber eigentlich sind sie sehr nett und umgänglich.

La Testa

Von Prograland durch ein wildes Meer und gewaltige Untiefen getrennt liegt die kleine und wilde Insel La Testa. Weitgehend unberührt und unerforscht, ist sie die Heimat der Testanier (auch „Q“ genannt), vor denen sich die Prograländer sehr fürchten. Das sorgt für gute nachbarschaftliche Beziehungen. Kein echter Testanier begibt sich freiwillig nach Prograland. Weder Geld noch gutes Zureden können einen echten Testanier dazu bewegen, seine elaborierten Worte in den, wie die Q ihn nennen, technokratischen Sumpf zu expedie- ren. Manchen Architektoniern sagt man nach, sie hätten erfolgreich zwischen Q und Geeks vermittelt – aber das können genauso gut Gerüchte sein. In den letzten Jahren bahnt sich in dieser brisanten Situation übrigens Besserung an – nach- dem ein Eidgenosse gemeinsam mit einem eXtremen ein paar Zeilen ultracoolen Java-Code geschrieben und unter der Bezeichnung JUnit veröffentlicht hat. Architektonier und Kundenier sind auf La Testa gern gesehene Gäste. Angeblich sollen gerade Architektonier auf La Testa einer Extremsportart frönen: dem Bug-Fishing. Aber auch das könnte ein Gerücht sein.

Betriebien

Betriebien ist das einzige komplett industrialisierte Land in der IT-Welt. Es ist umgeben von einem Bauwerk beeindruckender Größe – der betriebischen Mauer. Einem Gerücht nach soll es das einzige Bauwerk sein, das aus dem Weltall mit bloßem Auge sichtbar ist. Falls jemand ins Weltall kommt, sollte er dieses Gerücht in der Blogosphäre bestätigen. Ansonsten bekommt kaum ein Einwohner der übrigen IT-Welt jemals die vermeintliche Schönheit von Betriebien zu Gesicht. Gelegentlich hört oder liest man, dass Betriebien DAS Land der IT-Welt sei, in dem Prozesse wirklich funktionieren. Übrigens das einzige, garantiert!

In den letzten Jahren löst sich in immer mehr Organisationen die betriebische Mauer auf - DevOps sei Dank.

Kostenia

Über diese Insel mag ich hier nichts weiter schreiben. Es ist die Heimat der Managissimos – der Regenten der IT-Welt. Sie sorgen für Geld und Zeit in IT-Projekten. Wenn sie genug daran gedacht haben, sinnieren sie über Ressourcen. Und ab und zu organisieren sie auch die Zusammenarbeit von Bewohnern der verschiedenen Länder in der IT-Welt.

Und wer immer noch glaubt, Politik sei in der Informatik eine Nebensache, lebt entweder im Schlaraffenland oder hinter dem Mond.

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